Start
About & Links
Archiv
GB
Follow on BloglovinArchivArchivArchiv




GB
GB
Montag @ 10/19/2015
(3) Liebesbekundigungen
Eingewöhnungshorror für kleine und große Monster.

Stellt Euch vor, ihr wärt ein kleiner Pups von zwei Jahren und kennt bisher nur eure Mama und euren Papa.. Deine Welt ist klein. Klein, aber fein würdest du sagen. Du hast ein schönes kleines Reich - das zufälligerweise auch noch von zwei Wesen namens Eltern bewohnt wird, die sich sehr aufopferungsvoll um Dich kümmern. Du bekommst zu Essen, hast ein gemütliches Bett, kannst viel viel spieeelen und dir wird sogar am Tisch erlaubt aufzustehen, wann du willst. Oh, und einen Schnuller hast du auch. Den liebst du sehr!
Irgendwann, eines schönen Tages, machen deine Eltern einen Ausflug mit dir. Sie bringen dich in einen fremden neuen Raum mit vielen kahlen Wänden und neu riechendem Spielzeug - aber wohaaa, WAS für Spielzeug! Eine ganze Spielküche nur aus Holz und mit Plüschdingern! Drei bunte Laufrädchen, irgendwas worin man sich lustig verstecken kann, viele viele Buntstifte und jede Menge anderer Kleinkram der noch nie von anderen angefasst wurde, so sieht es zu mindestens für Dich momentan aus. Als du gerade dabei bist in Anwesenheit deiner Eltern deine Umgebung zu erkunden kommt eine fremde Person herein und setzt sich zu Euch. Du beachtest sie kaum, denn du hast ja mit dem Spielzeug zu tun. 
Nach und nach füllt sich der Raum mit weiteren Leuten, von denen besonders die anderen Kleinen aufdringlich sind: Ständig wollen sie dir dein Eigentum streitig machen, und sind dabei auch noch ziemlich dreist. Ist doch klar, dass das hier alles deins ist! Du warst hier zuerst! 
Irgendwann geht der Tag zu Ende und du gehst wieder nach Hause. Der Ausflug war anstrengend, aber irgendwie auch schön. 

Am nächsten Tag bist du wieder, diesmal nur mit Mama, in dem neuen Raum. Diesmal scheint ihr länger da zubleiben, denn Mama (zusammen mit dieser anderen Frau) macht sich sogar die Mühe Murmelbahn mit dir zu spielen! Als ihr  die Bausteine gerade erfolgreich ein drittes Mal vor dem Fuß eines ständig ankommenden kleinen zweiten Monsters verteidigt, verabschiedet sich deine Mutter von dir. "Ich komme gleich wieder. Bin nur kurz auf der Toilette." Das du davon nur die winkende Handbewegung verstehst und keine Ahnung hast, wie lange "gleich" nun bei ihr ist, scheint ihr egal zu sein. Sie geht. Du fängst an zu heulen. Die fremde Frau von Gestern versucht dich zu trösten, doch das willst du nicht. Nein, Mama, der Schmerz ist schlimm in dir, wo ist sie hin? Sie würde dich doch nie alleine lassen! Nach wenigen Minuten die dir wie Stunden vorkommen taucht sie schließlich wieder auf. 
Das ganze wiederholt sich nun Tag für Tag - und jedesmal braucht Mama länger um zu dir zurückzukommen. Inzwischen lässt du dich etwas von der fremden Frau, ihr Name soll irgendwas mit "Oni" sein, trösten, aber es ist nicht das gleiche wie von Mama. Mehr oder weniger lethargisch hängst du in ihren Armen und lässt dich zärtlich hin und her wiegen, stumme Tränen rollen dir hin und wieder über das Gesicht und du wimmerst ein bisschen. Mama ist nun schon Stunden weg, wieder hat sie nur gesagt "Ich komme gleich wieder. Bin nur kurz auf der Toilette.". Die Frau spricht zumal noch in deutsch mit dir, du verstehst nur die Hälfte ihrer Worte, alles was du ihr entgegnen kannst ist "Guckn gehn.", müde deutest du zur Tür. "Nein nein, Mama kommt wirklich gleich wieder. Wenn sie kommt, klingelt es an der Tür!" Was genau sie mit klingeln und Tür meint, geht dir nicht auf, die Tür ist doch dort, wenn Mama kommen würde, wäre sie doch da, wieso müsste sie irgendwo läuten? Und von "gleich" kann inzwischen keine Rede mehr sein. 

_________________________________

Okey, der Text ist etwas dramatisch. Aber irgendwie hatte ich gerade den inneren Drang zumindest versuchsweise darzustellen, was und wie sich eines meiner zweijährigen Kinder meiner Kita Gruppe innerhalb der Eingewöhnung fühlen kann. 
Man muss sich das mal vorstellen - sein ganzes Leben lang kennt es nur Mama und Papa (vielleicht noch Oma und Opa) und dann soll es innerhalb von höchstens zwei Wochen einen Großteil seines bisher kleinen Lebens in einem Raum mit anderen 14 Kindern und höchstens 2 Erziehern verbringen, von denen es niemanden kennt? 
Klar, werden einige pädagogisch gewiefte jetzt sagen - so ne Eingewöhnung ist doch eigentlich für 4-6 Wochen angedacht. Ja. Eigentlich. Aber nicht wenn einem die eigene Chefin in den Hacken steht, die die Eltern der Kleinen gerne schon nach einer Woche aus dem Raum haben will. Eigentlich braucht man für sowas Zeit. Eigentlich will ich jedem Kind die individuelle Zeit einräumen, die es zur Entwicklung seiner Unabhängigkeit braucht - aber Kommentare wie "manchmal einfach durch schreien lassen" (dass ich, wenn ein Kind damit anfangen würde, die Eingewöhnungen der anderen 6 Kinder erst mal pausieren könnte, weil sich die Kids natürlich alle gegenseitig mit Plärren anstecken, sei mal dahingestellt) oder "da müssen die durch, das Leben is kein Zuckerschlecken" helfen mir wenig. Wo ist die Pädagogik hin, die ich bisher studiert habe? Was ist denn mit der persönlichen und individuellen Entwicklung, die die Kita in ihrem Konzept so huldigt? Wieso wurde die Kita nicht so eröffnet, dass jedem Kind mehr Zeit eingeräumt wird? (Durch die Neugründung kommt es nämlich auch, dass so viele Kinder gleichzeitig eingewöhnt werden.)

Dass ich über solche Probleme so problemlos lamentieren kann liegt übrigens daran, dass ich krank bin. Alleine mit einer Gruppe von insgesamt 7 Kindern (Personalschlüssel für den Unter 3 Bereich ist 5 zu 1, aber who cares, gebt der Erdbeer doch noch die 10 Stunden Kraft, die ist dann ganze 2 Stunden pro Tag für sie da und studiert doch auch. Dass meine Kollegin noch gar keine Praxiserfahrung hat und von Eingewöhnung so viel versteht wie vom Créme Brûlet backen, ist egal.) müsste ich zwar nach dem Wochenende die Eingewöhnung weiter fortführen, aber die vielen Schnupfnasen und Tränen haben mich dann doch mal in die Knie gezwungen. Halsweh und der ganze Shit entladen sich nun auf mir. 
Ich habe große Schuldgefühle, dass ich die Eingewöhnung der Kleinen damit weiter verzögere und ärgere mich gleichzeitig über die schlechte Planung der Kita die nicht mit bedacht hat, dass die Kinder sich in der Eingewöhnung ja auch an MICH gewöhnen und es schwer wird, mich mit einer fremden Person zu ersetzen. Aber Fieber ist Fieber und bettlägerig nütze ich niemanden in der Kita.

Meh. Alles kacke. 

Tut mir Leid für den langen weinerlichen Post, aber das musste mal raus. Ich mag meine Gruppe inzwischen schon ziemlich und habe sogar Erfolge zu verzeichnen gehabt - und hoffe nun um so mehr sehr, dass die Verzögerung von ein paar Tagen (wie lange, erfahre ich hoffentlich nachher beim Arzt) mich nicht zu sehr in der Eingewöhnung zurückwirft.
Andererseits: Scheiß doch drauf, was die Leitung sagt - dann brauchen die Kinder halt länger als vorgesehen. Hauptsache, es geht ihnen später mal in der Gruppe gut! Und wenn ich dafür mit 6 Eltern gleichzeitig im Raum sitzen muss, dann ist es halt so. Ist mir lieber, als wenn sich in mir moralisch alles dagegen sträubt die Kinder vorzeitig und zu früh von den Eltern abzunabeln. Ich gehe lieber nach meinem pädagogischen Gefühl statt nach strikten Planungsvorgaben die organisatorisch, prinzipiell, bürokratisch und finanziell besser für die Kita wären. 

Labels: , , , , , , ,