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Dienstag @ 5/03/2011
(8) Liebesbekundigungen
Man, Sterblichkeit, Alter.

Da ich momentan schreibfaul bin, präsentiere ich Euch (bzw allen, die FreshJus Blog nicht lesen - solltet Ihr aber! Ihr nächster Schreibwettbewerb läuft schon! Macht mit!) meine Kurzgeschichte zum Thema "Unsterblichkeit" - was man mit einem UN alles anstellen kann. Kurze Fakten:
  1. Sie ist sehr lang, nehmt Euch Popcorn  Zeit oder eine Kotzschüssel, ganz je nachdem was Euch besser schmeckt.
  2. Ich suche noch mehr Schreibwettbewerbe! Wenn ihr einen weiteren kennt, so nennt ihn mir doch. Wettbewerbe sind für mich Hauptsächlich Motivation um zu schreiben, und das möchte ich mehr. 
  3. Bitte schreibt mir doch was ihr von meiner Geschichte haltet. Ich würde mich sehr über konstruktive, freundliche Kritik freuen da ich mich verbessern möchte. (:


Man, Sterblichkeit alter, was ist schon Sterblichkeit. Ohne ein UN gar nichts, sag ich dir.
Ich liege auf meinem Bett und starre verdrossen an die Decke. Starre und starre und starre. Scheiße, ich will nicht sterben. Wenn ich unsterblich wäre, wär dies ja alles kein Problem.
Die Löcher in der Luft fangen gedanklich an zu Brennen, Schwefelduft liegt in der Luft. Ich fange an zu husten.
Vielleicht hätte ich ein paar weniger von den bunten Pillen einwerfen sollen, denke ich während ich nach einem Taschentuch greife um mir den Sabber vom Mund zu wischen. Man, bin ich abartig. Ich starre auf das grüngelbliche Zeug, welches ich aushuste. Bunt kommt's rein, bunt kommt's auch wieder raus. Höhö. Ich rieche am Schleim. Er riecht nach nichts – wohingegen der Rauch im Zimmer immer dichter wird, langsam kann ich noch nicht einmal mehr mein Schuhregal am Ende meines kargen Zimmers sehen.
Ja, wäre ich unsterblich.. könnte ich einfach so aus dem Fenster springen und wäre höchstens ein bisschen außer Atem. Ich könnte rennen und rennen und rennen. Und auf einmal wäre ich gedanklich an Ed's Bar angekommen. Wenn ich jetzt in Gedanken dort hineingehe und die Tür öffne und Ed an seinem Tresen stehen sehe und er wieder eine seiner ekligen Zigaretten raucht – denn abgesehen von den paar Dexies und Trips, die ich mir ab und zu einwerfe habe ich NIE eine Zigarette angefasst! Darauf bin ich stolz – könnte, ja könnte ich mich selbst dort am Tresen neben Ed, während er dreckiges Geschirr noch schmutziger reibt und eine seiner ekligen Zigaretten raucht – wie gesagt, ich habe NIE eine dieser Dinger angefasst, jedenfalls nicht freiwillig- sitzen sehen? Wäre das möglich? Ich versuche es.
Der Rauch zieht mir von der Straße aus hinterher, ich stürme förmlich in die Bar um ihm zu entkommen. Ja, dort hinten in der Ecke – nicht am Tresen, dort sitze ich nie, denn wer will schon neben Ed sitzen, der immer ohne Wasser abwäscht, Wasser ist zu teuer sagt er, murmelt es in seinen Bart während er seine Zigarette raucht, eine dieser ekligen Par Malls oder wie die heissen, die würde ich ja nie rauchen, wenn ich rauchen würde, was ich nicht tue, denn es ist ja eklig, wenn, würde ich Marlboro rauchen, dass tun die gutaussehenden Männer aus Amerika auch immer – sitzte ich. In gekrümmter Haltung über mein Cocktailglas gebeugt – als ob es in Eds Bar wirkliche Cocktails gäbe, die hat er nur erfunden um die Touristen anzulocken, die sich in so eine miefige Bar wie die seine sowieso nicht trauen würden, wer will schon in eine zigarettenverqualmte Bar gehen? - und an einem Strohhalm nuckelnd. Ich drehe mich kurz um, der Luftlöcherbrandqualm scheint sich nicht in die Bar zu trauen, gut so. Wieso bin ich so gehetzt? Ich bin doch sowieso nur gedanklich hier, denke ich, während meine Hand in der Realität das verschmierte Taschentuch fallen lässt. Moment mal, Strohhalm? Seit wann bin ich ein Strohhalmnuckler? Ich mag die Dinger nicht! Abgesehen davon, dass Ed nur diese nicht knickbaren dicken schwarzen Strohhalme hat, mit denen ich immer halb ersticke (so etwas könnte mir auch nicht passieren, wenn ich unsterblich wäre) weil ich es immer schaffe mich zu verschlucken, trinke ich lieber so aus Gläsern. Wer sitzt dann also dort und tut so als wäre er ich? Gibt es mich auf einmal doch zweimal? Das kann nicht sein.

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Ich gehe auf diese Person zu und als ich näher komme atme ich erleichtert auf. Keine Spur ich. Niemals. Solche tiefen Falten und solche Augenringe gehören nicht zu mir. Nicht, wenn ich auf einem Trip bin. Ich setze mich der Person gegenüber und versuche Ed zu winken, der mich jedoch gar nicht sieht. Was solls. Hauptsache ich bin aus diesem Brandnebel raus. „Hallo.“, beginne ich ein Gespräch mit meinem gebückten Gegenüber. Dieses schreckt auf und nun erkenne ich sein – oder ihr? Ich kann es nicht erkennen! - Gesicht genauer. Dicke fette Hängematten unter den Augen, picklige Poren und geröteten, glasigen Augen. Scheiße, der Kerl sieht aus als wäre er gerade am krepieren! Wieder überkommt mich so ein Gefühl, dass alles wäre nicht wahr – ist es ja auch nicht, ich stelle mir ja nur vor es wäre wahr und wäre auch nicht, wenn es den Menschen möglich wäre unsterblich zu sein. „Krp.“, entfährt es dem Hässlichem. „Wie bitte?“, oh nein, sag nur er spricht gar nicht meine Sprache! Bin ich an so ein Russenschwein gelandet? Kein Russe kann wirklich Deutsch sprechen, folglich kann Herr. Hässlich auch kein Deutsch, folglich ist er ein Russe. Scheiße. Deduktionen sind scheiße.

„Wer bist du?“, krächst mein hässliches Gegenüber und starrt mich verzweifelt an. „Niemand.“, antworte ich schnell. Vielleicht sollte ich lieber gehen? Diese ganze Vorstellung gefällt mir nicht mehr. Ich will aufwachen. So viel Grusel vertrag ich nicht. Nachher hab' ich noch einen Freak-out. Bestimmt nicht. Schließlich bin ich ja freiwillig hier. Ich könnte jederzeit aussteigen. Jederzeit.
„Niemand. Soso. Hast du Geld?“ „Bei Ed kannst du anschreiben.“, antworte ich automatisch. Das mache ich auch immer, bei Ed. Ich glaube ich habe bei ihm noch nie bezahlen müssen. Meistens reicht mir auch ein Glas pro Tag.
„Na dann.“, er/sie/es geht zum Tresen und kommt nach einer kleinen Weile mit einem Orgasmus wieder. Ich beäuge ihn misstrauisch. „Schmecken dir diese Dinger wirklich?“
„Nein. Aber es betäubt die Sinne und meine Zunge.“, antwortet mein Gegenüber ehrlich. „Wieso steht dir der Sinn danach dich zu betäuben?“, frage ich kecker als ich mich fühle. Wenn es um Drogenkonsum bei anderen geht bin ich immer ganz fix. Ein besseres Lästerthema geht gar nicht.
Er zuckt mit den Schultern. „Wieso tust du's?“, fragt er mich.
Ich glotze ihn verdutzt und dämlich dreist an. „Das sieht man dir doch schon an dem Pickel auf deiner Nase an, dass du Drogen nimmst. Bei deinem Psychoblick und dem hohen Puls.“
„Woher willst du wissen wie hoch mein Puls ist?“ Echt mal. Der Kerl KONNTE meinen Puls doch gar nicht fühlen. Und was geht IHN das an? Ist mein Leben. Ist mein Dreck in dem ich mich sule. Außerdem geht ihn das gar nix an, dass ist sowas von Privatsphäre ey.
Als Antwort grinst er nur dämlich, allerdings fange ich nun an meine Fingernägel eingehend zu betrachten. Eigentlich habe ich ja besseres vor als hier zu hocken und mich mit diesem Wrack zu unterhalten, wäre da nicht dieser dämliche Rauch.. ich kann ihn schon riechen!
Allerdings nur förmlich, denn bisher schafft er es noch nicht durch die Türritze der Bar. Denkt jetzt nicht, dass ich nicht immer noch die Möglichkeit hätte aufzuwachen und in mein Taschentuch zu rotzen, aber ich ziehe Ed's Bar dieser Variante vor. Noch.
„Neuer Nagellack, eh?“ Was will der denn schon wieder. „Nein, eigentlich nicht.“ Ich trage keinen Nagellack. Den knabber ich nur ab, und dass ist mindestens so ungesund wie meine Pillen. „Willst du dir nicht auch was bestellen.“ Das war schon keine Frage mehr, soweit war es schon mit ihm und mir. Naja. Besser als hier rumzusitzen auf jeden Fall. Ich schwinge mich in die Luft (stehe also quasi auf) und brauche ein paar Sekunden um mein Gleichgewicht zur Ordnung zu rufen. Dann gehe ich sicheren Schrittes unsicher zur Bar und bestelle mir eine Cola. Irgendwie bekomme ich jedoch keine, denn was da in meinem Glas schwimmt sieht mehr nach Pisse aus. Ich rieche dran. Es riecht nach Rauch. Ach i-wo, Imagination and stuff, you know? Ich lasse mich wieder auf meinen Platz gegenüber des Wracks nieder. „Auch einen Orgasmus bestellt?“ „Hmmm. Wahrscheinlich.“ Ich kann mich schon nicht mehr daran erinnern, was ich eigentlich bestellt habe. Wahrscheinlich eine Fanta, dieselbe Farbe hat es ja.
Ich spüre einen Luftzug im Gesicht. Ein paar Typen betreten Ed's Bar und lassen sich an einem freien Tisch nieder. Problem: Sie ließen die Tür offen, wohl um die verrauchte Luft etwas abziehen zu lassen. Mein Problem: Der Brandrauch, den die anderen offensichtlich nicht sehen oder riechen können, zog nun hinein. „Verdammt, macht die Tür zu!“, rufe ich erbost und stehe auf, um es selbst zu machen. Vertraue niemandem. „Nee, lass sie offen. Hier stinkt's!“, höhnt einer der Prolls die sich gerade niedergelassen haben. Er steht wieder auf um mir in den Weg zu treten und ich renne voll in ihn rein.

Schmerzhaft erwache ich auf meinem Bett. Mein Arm hängt herunter, ich kann ihn kaum bewegen, so weh tut er. Ich schmecke Blut auf meinen Lippen. Haben mich die Prolls verprügelt? Aber wie bin ich dann hierher gekommen? Und.. eigentlich war dass alles doch nur eine Vorstellung gewesen? Ich bin mir nicht mehr sicher, was Realität und Traum ist. Egal. Ich lecke mir über die Lippen. Blut schmeckt nicht. Ich versuche aufzustehen, komme außer Atem und falle zurück. Kopfschmerzen bohren sich wie ein Speer durch mein linkes Ohrloch und strömen aus dem linken wieder heraus. Es ist schrecklich. Ich stöhne auf.
Nach einigen erfolglosen Versuchen schaffe ich es mich auf die Seite zu rollen und so vom Bett zu rutschen. Ich hocke nun auf dem Boden, vollkommen platt. Scheiße, denke ich mir. Scheiße, scheiße, verdammte Kacke. Ich muss mal aufs Klo. Passenderweise.
Es klingelt an der Tür. Auch dass noch, denke ich und ziehe mich mühsam am Nachttisch hoch. Wacklig stehe ich auf den Beinen. Da bemerke ich, dass der Brandgeruch nachgelassen hat. Eigentlich ist er sogar ganz weg. War wohl doch nur ein mieser Traum, denke ich. Es klingelt erneut. „Jajaaaa.“, meine eigene Stimme klingt krank. Zittrig, alt. Als wäre ich mindestens fünfzig. Dabei bin ich erst dreißig. Glaube ich zumindest. Zeit ist irrelevant. Meistens jedenfalls. Ich schleppe mich von Möbelstück zu Möbelstück. Mann, wieso geht es mir so schlecht? Habe ich etwa etwas falsches eingeworfen? Kann ja nur so sein..
Mein Magen rumort, Blut läuft mir über die Lippen aus meiner Nase hinaus. Habe ich sie mir angeschlagen, als ich mit diesen Typen in Ed's Bar zusammengestoßen bin? Nein, kann ja nicht sein.. oder doch? Ich bin verwirrt.
So sollte ich niemanden unter die Augen treten, ich sehe bestimmt aus wie ein lebendiger Zombie. Sterblich unsterblich. Wo wir wieder bei der besagten Unsterblichkeit wären. Doch zum Bad ist es zu weit. Ich denke zu viel nach und stolpere über eine Teppichfalte, falle hin und schlage mit dem Kopf auf den Holzfußboden. Ich stöhne auf, bestimmt ärgern sich die Zeugen Jehovas schon, dass ihnen niemand aufmacht..
Blut tropft von meiner Nase auf den Teppich. Es ist ein grauer Teppich, der schon bessere Tage gesehen hat. Überhaupt gibt es wenig in meiner Wohnung, was es verdient hätte, wertvoll genannt zu werden. Am ehesten noch mein Wasserhahn, aber der ist ja im Bad und dieses ist zu weit entfernt, um überhaupt daran denken zu können dorthin zu gelangen. Meine Wohnung ist zwar nicht groß, aber dennoch geräumig. Ihre ausladenden Maße hat sie vor allen Dingen durch die einhergehende Leere, die überall vorherrscht. Alles, was mehr als ein paar Kröten einbrachte, ist inzwischen verscherbelt worden. Man muss ja irgendwie an sein Geld kommen. Und, der Teppich gehörte bestimmt nicht zu den Dingen, die Geld einbrachten.
Mit viel Können und Ungeschick ziehe ich mich an einer Türklinge wieder hoch und stemme mich zur Haustür. Endlich, nach Stunden, wie es mir vorkommt, bin ich hier. Ich schaue durch den Spion, Gott sei Dank habe ich einen! Vor der Tür steht ein Pärchen.
Ich kann es nicht fassen. Die Zeugen Jehovas, leiblich und wahrhaftig.
Nein, auf die habe ich nun gar keine Lust. Ich drehe mich wieder um. Da klingelt es erneut. Wenn ich denen in meinem Zustand aufmache stolpern die doch rückwärts aus dem Treppenhaus heraus und kommen nicht mehr ins ewige Reich, oder wohin sie auch immer wollen! Ich seufze. Ein Gebrüll reist mich aus meiner Trance: „Entweder du machst jetzt die Tür auf oder wir rufen Eric an, verdammt nochmal MACH AUF oder es geht dir schlecht!“ Irgendwie war das nicht gerade die Ausdrucksweise, die ich von den Zeugen Jehovas erwartete.
Ich blinzle erneut durch den Spion (ein Glück habe ich den noch nicht zu Geld gemacht - ging das eigentlich?) und muss schlucken. Trotz meiner müden Augen erkenne ich zwei ziemlich mies aussehende Typen, denen ich nicht um Dunkeln begegnen möchte. Sie kommen mir bekannt vor, ich weiß nur nicht woher. Eines weiß ich jedoch klar wie Kloßbrühe: Ich werde denen nicht die Tür aufmachen! Denn auch wenn sie es im Treppenhaus nicht rumbrüllen, die wollen mein Geld. Und zwar die Schulden, die ich bei meinem Drogendealer habe. Also dem Mann meines Vertrauens. Dachte ich bis eben zumindest. Irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass der wirklich ernst macht und mir diese Machos auf den Hals schickt. Kopfgeldjäger, also wirklich. Ich bin doch kein Schwerverbrecher, sondern nur ein alberner und schwacher Junkie! Auf Zehenspitzen entferne ich mich von meiner Haustür und versuche so zu tun, als wäre ich gar nicht da. „Wir wissen genau das du da bist!“, ruft es aus dem Hausflur. Verdammt.
Aber solange ich ihnen nicht aufmache.. es rummst. Gegen meine Tür. Alt, aber verlässlich. Hoffe ich zumindest. Es knackt, als es zum zweiten Mal rummst. Heftig. Ich humple, inzwischen blutet meine Nase wieder und ich hinterlasse eine getröpfelte Blutspur auf dem Laminat, außerdem ist mir schlecht und der Flur dreht sich, schunkelt nicht gerade friedlich hin und her, mir geht es im Grunde genommen beschissen, zum Fenster.
Bisher habe ich mich immer gefreut, im vierten Stock zu wohnen. Heute sieht die Sache ganz anders aus. Die Aussicht interessiert mich einen feuchten Keks, der strahlend blaue Himmel, der sich inzwischen leicht violett-lila färbt, da die Sonne untergeht, auch. Mein Herz klopft, als ich zum dritten Mal ein unangenehmes, leider lautes Geräusch hinter mir vernehme. Lange wird meine geliebte Wohnungstür nicht mehr durchhalten, schluchz. Ade schnöde Welt. Ich öffne das Fenster, beuge mich vor und schiele verunsichert auf den Asphalt, der mir so weit weit entfernt vorkommt. Ich bin mir meinem Entschluss nicht so sicher, wie es aussehen mag. Springen.. wieso verstecke ich mich nicht lieber? Unter dem Bett, oder im Schrank? Nein, diese Kerle haben mehr drauf, als man ihnen trotz ihres äußerlich erkennbaren Anteil Gehirns, zutraut. Die sind es gewohnt kleine Menschen wie mich fertig zu machen und ihnen alle Knochen zu brechen, sollte ich die Schulden nicht begleichen können oder wenigstens eine gleichwertige Stereoanlage mit Diskokügelchen aufweisen können. Und das kann ich nicht, nicht wirklich jedenfalls. Hätte man mich vor drei Jahren gefragt! Aber heute? Nein.
Die Welt schwankt in ihren Angeln hin- und her als ich auf das staubige Fensterbrett klettere. In meinen Gelenken kracht es. Ich werde alt. Aber noch nicht zu alt um diesen Brutalos zu entkommen! Das wäre doch gelacht.
Auch das Brett knackt etwas unter meinem Gewicht. Dabei wiege ich so gut wie gar nichts.
Ich lasse meine Beine aus dem Fenster baumeln und wische mir mit meinem linken Handrücken das Blut von meiner Oberlippe. In Sekundenschnelle (zumindest kommt es mir so vor, da ich schon lange nichts mehr von den Kerlen hinter mir gehört habe) analysiere ich meine Lage und stelle folgende Möglichkeiten zu entkommen, vorausgesetzt ich habe dazu überhaupt noch die Kraft, fest:
A) Ich hänge mich, Spiderman-, Batman- oder Catwomanmäßig mit den Händen an die Hauswand vom Fenster runter. Wahrscheinlichkeit, dass ich loslasse: 96%. Wahrscheinlichkeit es zu schaffen und gleichzeitig unentdeckt zu bleiben: 4%.
B) Ich balanciere den schmalen Absatz, der von meinem Fenster ab verläuft, entlang und entfleuche so dem Blickfeld der Grobiane. Chance, dass ich das Gleichgewicht verliere: 98%. Wahrscheinlichkeit kopfüber hinunter zu fliegen: noch höher.
C) Ich stelle mich. Nein, kommt nicht in Frage. Dazu habe ich weder den Mut, die Lust oder das Geld. 



Spontan entscheide ich mich für Version D. Hier aus Platzgründen ausgespart. Ich versuche es mit der epischen Variante, ich springe direkt auf den Balkon rechts unter mir zu. Da ich weder kräftig noch ganz bei Sinnen bin und auch keinen wirklichen Plan besitze, wie ich von da aus weiterkommen könnte, überlasse ich mein (einziges, wohlgemerkt) Leben dem Zufall. Gleichzeitig kracht und splittert es hinter mir, ich glaube zu erkennen, dass die Brutalos nun in meinem trauten Heim angekommen sind.

Die Zeit blieb nicht stehen. Ich war nicht unsterblich und der Aufprall nicht sehr schön. Letzterer fand im Übrigen nicht, wie geplant, auf dem Balkon meiner Nachbarn statt, sondern vier Stockwerke tiefer. Aber wie sagt man so schön? Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Vielleicht ist dieses zweite Ende nur für Unsterbliche reserviert. Ungerecht. Dabei habe ich doch wirklich genug Mühe und Finanzen in meine Unsterblichkeit investiert! Vielleicht war ich aber auch einfach zur falschen Zeit am richtigen Ort.
Hierbei möchte ich etwas aus meinem Aufsatz über das „Ewige Leben“ zitieren (ja, ich habe studiert – in besseren Zeiten meines Lebens war ich praktisch in Hochform. Es tut mir Leid, meinen Lesern dieser Zeilen ein so schlechtes Bild von mir überliefern zu müssen):

Unsterblichkeit – die Fähigkeit Dinge zu überleben, bei denen anderen die Zigarette aus dem Mundwinkel fliegt. Oder auch: Für die Unsterblichkeit des Bewusstseins ist die Erhaltung der Zugrunde liegenden Funktions-Muster maßgeblich. Dabei ist es weniger wichtig die gleiche Substanz – in diesem Fall das biologische Gehirn – oder die gleichen Algorithmen zu konservieren, entscheidend ist, dass die Verarbeitungs- und Reaktionsmuster die gleichen bleiben.
All diese Faktoren treffen auf mich nicht zu. Schade irgendwie.
In der Luft, also zwischen Sprung von Fensterbrett zu Balkon, sah ich etwas erstaunliches. Man sagt ja, bevor man stirbt, sähe man sein bisheriges Leben vor sich ablaufen. Ich finde es ganz schön ungerecht, denn das einzige was ich sah war war das Wrack von vorhin aus der Kneipe. Brandgeruch lag komischerweise in der Luft und dieses alte Etwas starrte zu mir hoch, ich in Zeitlupe in der Luft schwebend, vor mir ein Rotkehlchen welches irgendwie das Bedürfnis verspürte in der Luft an mir vorbeizuzischen, hoch. Die blutunterlaufenen Augen und die Matratzen unter den Augen schauten traurig aus, die Mundwinkel waren verzogen, ich konnte nicht erkennen, in welche Richtung.
Ich sah wirklich widerlich aus.

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