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Freitag @ 6/05/2015
(1) Liebesbekundigungen
Ich bin kein Gemüse

Ich gebe offen zu: Wenn ich offensichtlich behinderten Menschen begegne (die nach außen hin nicht unbedingt ansprechbar oder aufmerksam aussehen), fühle ich mich komisch. Ich weiß nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten soll. Meistens endet das darin, dass ich sie freundlich anlächle aber ignoriere. Berührungspunkte mit Behinderten gab es in meinem Leben bisher kaum, außer Begegnungen in der Ubahn, Bus, in Läden oder auf der Straße. Wie ich mich mit ihnen unterhalten könnte? Ob ich es sollte? Wie ich reagiere, wenn sie mich angucken? Was sie über mich denken, wenn ich sie offensichtlich nicht anschaue oder etwas verlegen beobachte? Keine Ahnung. Ich kenne auch niemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der einen behinderten Bruder hat oder eine Schwester. Das finde ich selbst ziemlich schade. Weil ich meine Hemmungen so gerne abbauen würde!
Geholfen (mehr indirekt, aber irgendwie auch weniger subtil - egal was ich jetzt schreibe, es klingt platt) hat mir dabei irgendwie der Film "In meinem Kopf ein Universum", den ich kürzlich im Kino sehen durfte.

 
 
In dem Film vom polnische Regisseur Maciej Pieprzya geht es um den jungen Mateus, der seit seiner Geburt unter einer zerebralen Bewegungsstörung leide, d.h. er kann sich zwar bewegen, allerings sehr limitiert und nur auf seine Art und Weise. Sprechen kann er nicht. Denken dagegen schon - 
doch das einer Umwelt zu beweisen, die ihn auch für geistesgestört hält, ist schwer. "Ihr Sohn ist Gemüse.", so die Diagnose einer Ärztin zu Mateus Mutter am Anfang des Films. Diese glaubt jedoch (genauso wie sein vater) an ihr Kind und gibt ihm alle Chancen, die sie in ihrem Leben finden kann. Dennoch wird Mateus von seinen Geschwistern nicht wirklich genommen und landet irgendwann (nach einem Unfall) in einer Behindertenanstalt. Mit lakonischen Kommentaren und trockenem Humor kommentiert Meteus den Film selbst - und lässt mich als Zuschauer an seiner inneren Gedankenwelt, die gar nicht komisch oder abnormal ist, teilhaben. 
 
Natürlich ist "In meinem Kopf ein Universum" gleichzeitig auch dramatisch und herzzerreißend. Ich möchte gar nicht weiter auf nähere Geschehnisse eingehen, aber den Humor und die hoffnungsvolle Botschaft, dass der erste Eindruck eines Menschen täuschen kann,  gehen zwischen den emotionalen Wellen des sanft erzählten Films nicht unter.
Kein Mensch ist Gemüse. 
Was auch immer im Inneren eines Anderen vorgeht, verdient Offenheit und Respekt.
(Düster, Jessica - Berliner Zeitung, 8.4.2015) 
Lustig: Der Schauspieler von Mateus selbst (Dawid Ogrodnik) ist selbst übringens gar nicht behindert.


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